Dritter Aufzug

 

Erste Szene

Wilde Gegend.
Am Fusse eines Felsenberges, welcher links nach hinten steil aufsteigt. - Nacht, Sturm und Wetter, Blitz und heftiger Donner, welch letzterer dann schweigt, während Blitze noch längere Zeit die Wolken durchkreuzen.

 Q 

(kein)

<- Wanderer

 

WANDERER

(schreitet entschlossen auf ein gruftähnliches Höhlentor in einem Felsen des Vordergrundes zu und nimmt dort, auf seinen Speer gestützt, eine Stellung ein, während er das Folgende dem Eingange der Höhle zu ruft)  

Wache, Wala!

Wala! Erwach'!

Aus langem Schlaf

weck' ich dich Schlummernde wach.

Ich rufe dich auf:

Herauf! Herauf!

Aus nebliger Gruft,

aus nächtigem Grunde herauf!

Erda! Erda!

Ewiges Weib!

Aus heimischer Tiefe

tauche zur Höh!

Dein Wecklied sing' ich,

dass du erwachest;

aus sinnendem Schlafe

weck' ich dich auf.

Allwissende!

Urweltweise!

Erda! Erda!

Ewiges Weib!

Wache, erwache,

du Wala! Erwache!

 
(Die Höhlengruft erdämmert. Bläulicher Lichtschein: von ihm beleuchtet steigt mit dem Folgenden Erda sehr allmählich aus der Tiefe auf. Sie erscheint wie von Reif bedeckt: Haar und Gewand werfen einen glitzernden Schimmer von sich.)

<- Erda

 

ERDA

Stark ruft das Lied;  

kräftig reizt der Zauber.

Ich bin erwacht

aus wissendem Schlaf:

wer scheucht den Schlummer mir?

WANDERER

Der Weckrufer bin ich,

und Weisen üb' ich,

dass weithin wache,

was fester Schlaf umschliesst.

Die Welt durchzog ich,

wanderte viel,

Kunde zu werben,

urweisen Rat zu gewinnen.

Kundiger gibt es

keine als dich;

bekannt ist dir,

was die Tiefe birgt,

was Berg und Tal,

Luft und Wasser durchwebt.

Wo Wesen sind,

wehet dein Atem;

wo Hirne sinnen,

haftet dein Sinn:

alles, sagt man,

sei dir bekannt.

Dass ich nun Kunde gewänne,

weck' ich dich aus dem Schlaf!

ERDA

Mein Schlaf ist Träumen,

mein Träumen Sinnen,

mein Sinnen Walten des Wissens.

Doch wenn ich schlafe,

wachen Nornen:

sie weben das Seil

und spinnen fromm, was ich weiss. -

Was frägst du nicht die Nornen?

WANDERER

Im Zwange der Welt

weben die Nornen:

sie können nichts wenden noch wandeln.

Doch deiner Weisheit

dankt' ich den Rat wohl,

wie zu hemmen ein rollendes Rad?

ERDA

Männertaten

umdämmern mir den Mut:

mich Wissende selbst

bezwang ein Waltender einst.

Ein Wunschmädchen

gebar ich Wotan:

der Helden Wal

hiess für sich er sie küren.

Kühn ist sie

und weise auch:

was weckst du mich

und frägst um Kunde

nicht Erdas und Wotans Kind?

WANDERER

Die Walküre meinst du,

Brünnhild', die Maid?

Sie trotzte dem Stürmebezwinger,

wo er am stärksten selbst sich bezwang:

was den Lenker der Schlacht

zu tun verlangte,

doch dem er wehrte

- zuwider sich selbst -,

allzu vertraut

wagte die Trotzige,

das für sich zu vollbringen, -

Brünnhild' in brennender Schlacht.

Streitvater

strafte die Maid:

in ihr Auge drückte er Schlaf;

auf dem Felsen schläft sie fest:

erwachen wird

die Weihliche nur,

um einen Mann zu minnen als Weib.

Frommten mir Fragen an sie?

ERDA

(ist in Sinnen versunken und beginnt erst nach längerem Schweigen)

Wirr wird mir,

seit ich erwacht:

wild und kraus

kreist die Welt!

Die Walküre,

der Wala Kind,

büsst' in Banden des Schlafs,

als die wissende Mutter schlief?

Der den Trotz lehrte,

straft den Trotz?

Der die Tat entzündet,

zürnt um die Tat?

Der die Rechte wahrt,

der die Eide hütet, -

wehret dem Recht,

herrscht durch Meineid? -

Lass mich wieder hinab! -

Schlaf verschliesse mein Wissen!

WANDERER

Dich, Mutter, lass' ich nicht ziehn,

da des Zaubers mächtig ich bin. -

Urwissend

stachest du einst

der Sorge Stachel

in Wotans wagendes Herz:

mit Furcht vor schmachvoll

feindlichem Ende

füllt' ihn dein Wissen,

dass Bangen band seinen Mut.

Bist du der Welt

weisestes Weib,

sage mir nun:

wie besiegt die Sorge der Gott?

ERDA

Du bist - nicht

was du dich nennst!

Was kamst du, störrischer Wilder,

zu stören der Wala Schlaf?

WANDERER

Du bist - nicht,

was du dich wähnst!

Urmütter-Weisheit

geht zu Ende:

dein Wissen verweht

vor meinem Willen.

Weisst du, was Wotan will?

 
(Langes Schweigen.)
 

 

Dir Unweisen

ruf' ich ins Ohr,

dass sorglos ewig du nun schläfst!

Um der Götter Ende

grämt mich die Angst nicht,

seit mein Wunsch es will!

Was in des Zwiespalts wildem Schmerze

verzweifelnd einst ich beschloss,

froh und freudig

führe frei ich nun aus.

Weiht' ich in wütendem Ekel

des Niblungen Neid schon die Welt,

dem herrlichsten Wälsung

weis' ich mein Erbe nun an.

Der von mir erkoren,

doch nie mich gekannt,

ein kühnester Knabe,

bar meines Rates,

errang des Niblungen Ring:

liebesfroh,

ledig des Neides,

erlahmt an dem Edlen

Alberichs Fluch;

denn fremd bleibt ihm die Furcht.

Die du mir gebarst,

Brünnhild',

weckt sich hold der Held:

wachend wirkt

dein wissendes Kind

erlösende Weltentat. -

Drum schlafe nun du,

schliesse dein Auge;

träumend erschau' mein Ende!

Was jene auch wirken,

dem ewig Jungen

weicht in Wonne der Gott.

Hinab denn, Erda!

Urmütterfurcht!

Ursorge!

Hinab! Hinab,

zu ewigem Schlaf!

 
(Nachdem Erda bereits die Augen geschlossen hat und allmählich tiefer versunken ist, verschwindet sie jetzt gänzlich; auch die Höhle ist jetzt wiederum durchaus verfinstert. Monddämmerung erhellt die Bühne, der Sturm hat aufgehört.)

Erda ->

 

Zweite Szene

 
(Der Wanderer ist dicht an die Höhle getreten und lehnt sich dann mit dem Rücken an das Gestein derselben, das Gesicht der Szene zugewandt.)
 

WANDERER

Dort seh' ich Siegfried nahn. -  

 
(Er verbleibt in seiner Stellung an der Höhle. Siegfrieds Waldvogel flattert dem Vordergrunde zu. Plötzlich hält der Vogel in seiner Richtung ein, flattert ängstlich hin und her und verschwindet hastig dem Hintergrunde zu.)

<- Vogel, Siegfried

Vogel ->

 

SIEGFRIED

(tritt rechts im Vordergrunde auf und hält an)

Mein Vöglein schwebte mir fort!

Mit flatterndem Flug

und süssem Sang

wies es mich wonnig des Wegs:

nun schwand es fern mir davon!

Am besten find' ich mir

selbst nun den Berg:

wohin mein Führer mich wiess,

dahin wandr' ich jetzt fort.

(Er schreitet weiter nach hinten)

WANDERER

(in seiner Stellung an der Höhle verbleibend)

Wohin, Knabe,

heisst dich dein Weg?

SIEGFRIED

(hält an und wendet sich um)

Da redet's ja:

wohl rät das mir den Weg. -

(Er tritt dem Wanderer näher)

Einen Felsen such' ich,

von Feuer ist der umwabert:

dort schläft ein Weib,

das ich wecken will.

WANDERER

Wer sagt' es dir,

den Fels zu suchen?

Wer, nach der Frau dich zu sehnen?

SIEGFRIED

Mich wies ein singend

Waldvöglein:

das gab mir gute Kunde.

WANDERER

Ein Vöglein schwatzt wohl manches;

kein Mensch doch kann's verstehn.

Wie mochtest du Sinn

dem Sang entnehmen?

SIEGFRIED

Das wirkte das Blut

eines wilden Wurms,

der mir vor Neidhöhl' erblasste:

kaum netzt' es zündend

die Zunge mir,

da verstand ich der Vöglein Gestimm'.

WANDERER

Erschlugst den Riesen du,

wer reizte dich,

den starken Wurm zu bestehn?

SIEGFRIED

Mich führte Mime,

ein falscher Zwerg;

das Fürchten wollt' er mich lehren:

zum Schwertstreich aber,

der ihn erschlug,

reizte der Wurm mich selbst;

seinen Rachen riss er mir auf.

WANDERER

Wer schuf das Schwert

so scharf und hart,

dass der stärkste Feind ihm fiel?

SIEGFRIED

Das schweisst' ich mir selbst,

da's der Schmied nicht konnte:

schwertlos noch wär' ich wohl sonst.

WANDERER

Doch, wer schuf

die starken Stücken,

daraus das Schwert du dir geschweisst?

SIEGFRIED

Was weiss ich davon?

Ich weiss allein,

dass die Stücke mir nichts nützten,

schuf ich das Schwert mir nicht neu.

WANDERER

(bricht in ein freudig gemütliches Lachen aus)

Das - mein' ich wohl auch!

(Er betrachtet Siegfried wohlgefällig)

SIEGFRIED

(verwundert)

Was lachst du mich aus?

Alter Frager!

Hör' einmal auf;

lass mich nicht länger hier schwatzen!

Kannst du den Weg

mir weisen, so rede:

vermagst du's nicht,

so halte dein Maul!

WANDERER

Geduld, du Knabe!

Dünk' ich dich alt,

so sollst du Achtung mir bieten.

SIEGFRIED

Das wär' nicht übel!

Solang' ich lebe,

stand mir ein Alter

stets im Wege;

den hab' ich nun fortgefegt.

Stemmst du dort länger

steif dich mir entgegen, -

sieh dich vor, sag' ich,

(mit entsprechender Gebärde)

dass du wie Mime nicht fährst!

(Er tritt noch näher an den Wanderer heran)

Wie siehst du denn aus?

Was hast du gar

für 'nen grossen Hut?

Warum hängt er dir so ins Gesicht?

WANDERER

(immer ohne seine Stellung zu verlassen)

Das ist so Wand'rers Weise,

wenn dem Wind entgegen er geht.

SIEGFRIED

(immer näher ihn betrachtend)

Doch darunter fehlt dir ein Auge!

Das schlug dir einer

gewiss schon aus,

dem du zu trotzig

den Weg vertratst?

Mach dich jetzt fort,

sonst könntest du leicht

das andere auch noch verlieren.

WANDERER

Ich seh', mein Sohn,

wo du nichts weisst,

da weisst du dir leicht zu helfen. -

Mit dem Auge,

das als andres mir fehlt,

erblickst du selber das eine,

das mir zum Sehen verblieb.

SIEGFRIED

(der sinnend zugehört hat, bricht jetzt unwillkürlich in helles Lachen aus)

Zum Lachen bist du mir lustig! -

Doch hör', nun schwatz' ich nicht länger:

geschwind, zeig' mir den Weg, -

deines Weges ziehe dann du;

zu nichts andrem

acht' ich dich nütz':

drum sprich, sonst spreng' ich dich fort!

WANDERER

(weich)

Kenntest du mich,

kühner Spross,

den Schimpf spartest du mir!

Dir so vertraut,

trifft mich schmerzlich dein Dräuen.

Liebt' ich von je

deine lichte Art, -

Grauen auch zeugt' ihr

mein zürnender Grimm.

Dem ich so hold bin,

Allzuhehrer,

heut' nicht wecke mir Neid:

er vernichtete dich und mich!

SIEGFRIED

Bleibst du mir stumm,

störrischer Wicht?

Weich' von der Stelle,

denn dorthin, ich weiss,

führt es zur schlafenden Frau.

So wies es mein Vöglein,

das hier erst flüchtig entfloh.

 
(Es wird schnell wieder ganz finster.)
 

WANDERER

(in Zorn ausbrechend und in gebieterischer Stellung)

Es floh dir zu seinem Heil!

Den Herrn der Raben

erriet es hier:

weh' ihm, holen sie's ein!

Den Weg, den es zeigte,

sollst du nicht ziehn!

SIEGFRIED

(tritt mit Verwunderung in trotziger Stellung zurück)

Hoho! Du Verbieter!

Wer bist du denn,

dass du mir wehren willst?

WANDERER

Fürchte des Felsens Hüter!

Verschlossen hält

meine Macht die schlafende Maid:

wer sie erweckte,

wer sie gewänne,

machtlos macht' er mich ewig!

Ein Feuermeer

umflutet die Frau,

glühende Lohe

umleckt den Fels:

wer die Braut begehrt,

dem brennt entgegen die Brunst.

(Er winkt mit dem Speere nach der Felsenhöhe)

Blick' nach der Höh'!

Erlugst du das Licht?

Es wächst der Schein,

es schwillt die Glut;

sengende Wolken,

wabernde Lohe

wälzen sich brennend

und prasselnd herab:

ein Lichtmeer

umleuchtet dein Haupt:

 
(Mit wachsender Helle zeigt sich von der Höhe des Felsens her ein wabernder Feuerschein.)
 

 

bald frisst und zehrt dich

zündendes Feuer. -

Zurück denn, rasendes Kind!

SIEGFRIED

Zurück, du Prahler, mit dir!

 
(Er schreitet weiter, der Wanderer stellt sich ihm entgegen.)
 

 

Dort, wo die Brünste brennen,

zu Brünnhilde muss ich dahin!

WANDERER

Fürchtest das Feuer du nicht,

(den Speer vorhaltend)

so sperre mein Speer dir den Weg! -

Noch hält meine Hand

der Herrschaft Haft:

das Schwert, das du schwingst,

zerschlug einst dieser Schaft:

noch einmal denn

zerspring' es am ew'gen Speer!

(Er streckt den Speer vor)

SIEGFRIED

(das Schwert ziehend)

Meines Vaters Feind!

Find' ich dich hier?

Herrlich zur Rache

geriet mir das!

Schwing' deinen Speer:

in Stücken spalt' ihn mein Schwert!

 
(Er haut dem Wanderer mit einem Schlage den Speer in zwei Stücken; ein Blitzstrahl fährt daraus nach der Felsenhöhe zu, wo von nun an der bisher mattere Schein in immer helleren Feuerflammen zu lodern beginnt. Starker Donner, der schnell sich abschwächt, begleitet den Schlag. Die Speerstücken rollen zu des Wanderers Füssen. - Er rafft sie ruhig auf.)
 

WANDERER

(zurückweichend)

Zieh hin! Ich kann dich nicht halten!

(Er verschwindet plötzlich in völliger Finsternis)

Wanderer ->

 

SIEGFRIED

Mit zerfocht'ner Waffe  

wich mir der Feige?

 
(Die wachsende Helle der immer tiefer sich senkenden Feuerwolken trifft Siegfrieds Blick)
 

 

Ha! Wonnige Glut!

Leuchtender Glanz!

Strahlend nun offen

steht mir die Strasse. -

Im Feuer mich baden!

Im Feuer zu finden die Braut -

Hoho! Hahei!

Jetzt lock' ich ein liebes Gesell!

 
(Siegfried setzt sein Horn an und stürzt, seine Lockweise blasend, sich in das wogende Feuer, welches sich, von der Höhe herabdringend, nun auch über den Vordergrund ausbreitet. Siegfried, den man bald nicht mehr erblickt, scheint sich nach der Höhe zu entfernen. Hellstes Leuchten der Flammen. Danach beginnt die Glut zu erbleichen und löst sich allmählich in ein immer feineres, wie durch die Morgenröte beleuchtetes Gewölk auf.)

Siegfried ->

 
 

Dritte Szene

Das immer zarter gewordene Gewölk hat sich in einen feinen Nebelschleier von rosiger Färbung aufgelöst und zerteilt sich nun in der Weise, dass der Duft sich gänzlich nach oben verzieht und endlich nur noch den heiteren, blauen Tageshimmel erblicken lässt, während am Saume der nun sichtbar werdenden Felsenhöhe - ganz die gleiche Szene wie im dritten Aufzug der "Walküre" - ein morgenrötlicher Nebelschleier haften bleibt, welcher zugleich an die in der Tiefe noch lodernde Zauberlohe erinnert. - Die Anordnung der Szene ist durchaus dieselbe wie am Schlusse der "Walküre": im Vordergrunde, unter der breitästigen Tanne, liegt Brünnhilde in vollständiger, glänzender Panzerrüstung, mit dem Helm auf dem Haupte, den langen Schild über sich gedeckt, in tiefem Schlafe.

 Q 

Brünnhilde

<- Siegfried

 

SIEGFRIED

(gelangt von aussen her auf den felsigen Saum der Höhe und zeigt sich dort zuerst nur mit dem Oberleibe: so blickt er lange staunend um sich)  

Selige Öde

auf sonniger Höh'! -

(Er steigt vollends herauf und betrachtet, auf einem Felsensteine des hinteren Abhanges stehend, mit Verwunderung die Szene. Er blickt zur Seite in den Tann und schreitet etwas vor)

Was ruht dort schlummernd

im schattigen Tann? -

Ein Ross ist's,

rastend in tiefem Schlaf!

(Langsam näher kommend, hält er verwundert an, als er noch aus einiger Entfernung Brünnhildes Gestalt wahrnimmt)

Was strahlt mir dort entgegen?

Welch glänzendes Stahlgeschmeid?

Blendet mir noch

die Lohe den Blick?

(Er tritt näher hinzu)

Helle Waffen!

Heb' ich sie auf?

(Er hebt den Schild ab und erblickt Brünnhildes Gestalt, während ihr Gesicht jedoch noch zum grossen Teil vom Helm verdeckt ist)

Ha! In Waffen ein Mann: -

wie mahnt mich wonnig sein Bild! -

Das hehre Haupt

drückt wohl der Helm? -

Leichter würd' ihm,

löst' ich den Schmuck.

(Vorsichtig löst er den Helm und hebt ihn der Schlafenden vom Haupte ab: langes lockiges Haar bricht hervor. Siegfried erschrickt)

Ach! Wie schön!

(Er bleibt in den Anblick versunken)

Schimmernde Wolken

säumen in Wellen

den hellen Himmelssee;

leuchtender Sonne

lachendes Bild

strahlt durch das Wogengewölk!

(Er neigt sich tiefer zu der Schlafenden hinab)

Von schwellendem Atem

schwingt sich die Brust: -

brech' ich die engende Brünne?

(Er versucht mit grosser Behutsamkeit die Brünne zu lösen)

Komm, mein Schwert,

schneide das Eisen!

(Er zieht sein Schwert, durchschneidet mit zarter Vorsicht die Panzerringe zu beiden Seiten der ganzen Rüstung und hebt dann die Brünne und die Schienen ab, so dass nun Brünnhilde in einem weichen weiblichen Gewande vor ihm liegt. Er fährt erschreckt und staunend auf)

Das ist kein Mann! -

(Er starrt mit höchster Aufgeregtheit auf die Schlafende hin)

Brennender Zauber

zückt mir ins Herz;

feurige Angst

fasst meine Augen:

mir schwankt und schwindelt der Sinn!

(Er gerät in höchste Beklemmung)

Wen ruf' ich zum Heil,

dass er mir helfe? -

Mutter! Mutter!

Gedenke mein! -

(Er sinkt, wie ohnmächtig, an Brünnhildes Busen. Langes Schweigen. Dann fährt er seufzend auf)

Wie weck' ich die Maid,

dass sie ihr Auge mir öffne? -

Das Auge mir öffne?

Blende mich auch noch der Blick?

Wagt' es mein Trotz?

Ertrüg' ich das Licht? -

Mir schwebt und schwankt

und schwirrt es umher!

Sehrendes Sehnen

zehrt meine Sinne;

am zagenden Herzen

zittert die Hand! -

Wie ist mir Feigem? -

Ist dies das Fürchten? -

O Mutter! Mutter!

Dein mutiges Kind!

Im Schlafe liegt eine Frau: -

die hat ihn das Fürchten gelehrt! -

Wie end' ich die Furcht?

Wie fass' ich Mut? -

Dass ich selbst erwache,

muss die Maid mich erwecken! -

(Indem er sich der Schlafenden von neuem nähert, wird er wieder von zarteren Empfindungen an ihren Anblick gefesselt. Er neigt sich tiefer hinab)

Süss erbebt mir

ihr blühender Mund. -

Wie mild erzitternd

mich Zagen er reizt! -

Ach! Dieses Atems

wonnig warmes Gedüft!

(wie in Verzweiflung)

Erwache! Erwache!

Heiliges Weib!

(Er starrt auf sie hin)

Sie hört mich nicht. -

(gedehnt mit gepresstem, drängendem Ausdruck)

So saug' ich mir Leben

aus süssesten Lippen, -

sollt' ich auch sterbend vergeh'n!

 
(Er sinkt, wie ersterbend, auf die Schlafende und heftet mit geschlossenen Augen seine Lippen auf ihren Mund. - Brünnhilde schlägt die Augen auf. Siegfried fährt auf und bleibt vor ihr stehen. Brünnhilde richtet sich langsam zum Sitze auf. Sie begrüsst mit feierlichen Gebärden der erhobenen Arme ihre Rückkehr zur Wahrnehmung der Erde und des Himmels.)
 

BRÜNNHILDE

Heil dir, Sonne!

Heil dir, Licht!

Heil dir, leuchtender Tag!

Lang war mein Schlaf;

ich bin erwacht.

Wer ist der Held,

der mich erweckt'?

SIEGFRIED

(von ihrem Blicke und ihrer Stimme feierlich ergriffen, steht wie festgebannt)

Durch das Feuer drang ich,

das den Fels umbrann;

ich erbrach dir den festen Helm:

Siegfried heiss' ich,

der dich erweckt'.

BRÜNNHILDE

(hoch aufgerichtet sitzend)

Heil euch, Götter!

Heil dir, Welt!

Heil dir, prangende Erde!

Zu End' ist nun mein Schlaf;

erwacht, seh' ich:

Siegfried ist es,

der mich erweckt!

 

SIEGFRIED

(in erhabenste Verzückung ausbrechend)  

O Heil der Mutter,

die mich gebar;

Heil der Erde,

die mich genährt!

Dass ich das Aug' erschaut,

das jetzt mir Seligem lacht!

Beide

BRÜNNHILDE

(mit grösster Bewegtheit)

O Heil der Mutter,

die dich gebar!

Heil der Erde,

die dich genährt!

Nur dein Blick durfte mich schau'n,

erwachen durft' ich nur dir!

 
(Beide bleiben voll strahlenden Entzückens in ihren gegenseitigen Anblick verloren.)
 

BRÜNNHILDE

O Siegfried! Siegfried!

Seliger Held!

Du Wecker des Lebens,

siegendes Licht!

O wüsstest du, Lust der Welt,

wie ich dich je geliebt!

Du warst mein Sinnen,

mein Sorgen du!

Dich Zarten nährt' ich,

noch eh' du gezeugt;

noch eh' du geboren,

barg dich mein Schild:

so lang' lieb' ich dich, Siegfried!

 

SIEGFRIED

(leise und schüchtern)  

So starb nicht meine Mutter?

Schlief die minnige nur?

BRÜNNHILDE

(lächelnd, freundlich die Hand nach ihm ausstreckend)

Du wonniges Kind!

Deine Mutter kehrt dir nicht wieder.

Du selbst bin ich,

wenn du mich Selige liebst.

Was du nicht weisst,

weiss ich für dich;

doch wissend bin ich

nur - weil ich dich liebe! -

 

O Siegfried! Siegfried!  

Siegendes Licht!

Dich liebt' ich immer;

denn mir allein

erdünkte Wotans Gedanke

der Gedanke, den ich nie

nennen durfte;

den ich nicht dachte,

sondern nur fühlte;

für den ich focht,

kämpfte und stritt;

für den ich trotzte

dem, der ihn dachte;

für den ich büsste,

Strafe mich band,

weil ich nicht ihn dachte

und nur empfand!

Denn der Gedanke -

dürftest du's lösen! -

mir war er nur Liebe zu dir!

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SIEGFRIED

Wie Wunder tönt,

was wonnig du singst;

doch dunkel dünkt mich der Sinn.

Deines Auges Leuchten

seh' ich licht;

deines Atems Wehen

fühl' ich warm;

deiner Stimme Singen

hör' ich süss:

doch was du singend mir sagst,

staunend versteh' ich's nicht.

Nicht kann ich das Ferne

sinnig erfassen,

wenn alle Sinne

dich nur sehen und fühlen!

Mit banger Furcht

fesselst du mich:

du Einz'ge hast

ihre Angst mich gelehrt.

Den du gebunden

in mächtigen Banden,

birg meinen Mut mir nicht mehr!

(Er verweilt in grosser Aufregung, sehnsuchtsvollen Blick auf sie heftend)

 

BRÜNNHILDE

(wendet sanft das Haupt zur Seite und richtet ihren Blick nach dem Tann)  

- Dort seh' ich Grane,

mein selig Ross:

wie weidet er munter,

der mit mir schlief!

Mit mir hat ihn Siegfried erweckt.

 

SIEGFRIED

(in der vorigen Stellung verbleibend)  

Auf wonnigem Munde

weidet mein Auge:

in brünstigem Durst

doch brennen die Lippen,

dass der Augen Weide sie labe! -

 

BRÜNNHILDE

(deutet ihm mit der Hand nach ihren Waffen, die sie gewahrt)

Dort seh' ich den Schild,

der Helden schirmte;

dort seh' ich den Helm,

der das Haupt mir barg:

er schirmt, er birgt mich nicht mehr!

SIEGFRIED

Eine selige Maid

versehrte mein Herz;

Wunden dem Haupte

schlug mir ein Weib: -

ich kam ohne Schild und Helm!

BRÜNNHILDE

(mit gesteigertem Wehmut)

Ich sehe der Brünne

prangenden Stahl:

ein scharfes Schwert

schnitt sie entzwei;

von dem maidlichen Leibe

löst' es die Wehr: -

ich bin ohne Schutz und Schirm,

ohne Trutz ein trauriges Weib!

 

SIEGFRIED

Durch brennendes Feuer  

fuhr ich zu dir!

Nicht Brünne noch Panzer

barg meinen Leib:

nun brach die Lohe

mir in die Brust.

Es braust mein Blut

in blühender Brunst;

ein zehrendes Feuer

ist mir entzündet:

die Glut, die Brünnhilds

Felsen umbrann,

die brennt mir nun in der Brust!

O Weib, jetzt lösche den Brand!

Schweige die schäumende Glut!

 
(Er hat sie heftig umfasst: sie springt auf, wehrt ihm mit der höchsten Kraft der Angst, und entflieht nach der anderen Seite.)
 

BRÜNNHILDE

Kein Gott nahte mir je!  

Der Jungfrau neigten

scheu sich die Helden:

heilig schied sie aus Walhall!

Wehe! Wehe!

Wehe der Schmach,

der schmählichen Not!

Verwundet hat mich,

der mich erweckt!

Er erbrach mir Brünne und Helm:

Brünnhilde bin ich nicht mehr!

SIEGFRIED

Noch bist du mir

die träumende Maid:

Brünnhildes Schlaf

brach ich noch nicht.

Erwache, sei mir ein Weib!

BRÜNNHILDE

(in Betäubung)

Mir schwirren die Sinne,

mein Wissen schweigt:

soll mir die Weisheit schwinden?

 

SIEGFRIED

Sangst du mir nicht,

dein Wissen sei

das Leuchten der Liebe zu mir?

 

BRÜNNHILDE

(vor sich hinstarrend)

Trauriges Dunkel

trübt meinen Blick;

mein Auge dämmert,

das Licht verlischt:

Nacht wird's um mich.

Aus Nebel und Grau'n

windet sich wütend

ein Angstgewirr:

Schrecken schreitet

und bäumt sich empor!

(Sie birgt heftig die Augen mit beiden Händen)

SIEGFRIED

(indem er ihr sanft die Hände von den Augen löst)

Nacht umfängt

gebund'ne Augen.

Mit den Fesseln schwindet

das finstre Grau'n.

Tauch' aus dem Dunkel und sieh: -

sonnenhell leuchtet der Tag!

BRÜNNHILDE

(in höchster Ergriffenheit)

Sonnenhell

leuchtet der Tag meiner Schmach! -

O Siegfried! Siegfried!

Sieh' meine Angst!

(Ihre Miene verrät, dass ihr ein anmutiges Bild vor die Seele tritt, von welchem ab sie den Blick mit Sanftmut wieder auf Siegfried richtet)

 

Ewig war ich,  

ewig bin ich,

ewig in süss

sehnender Wonne, -

doch ewig zu deinem Heil! -

O Siegfried! Herrlicher!

Hort der Welt!

Leben der Erde!

Lachender Held!

Lass, ach lass,

lasse von mir!

Nahe mir nicht

mit der wütenden Nähe!

Zwinge mich nicht

mit dem brechenden Zwang,

zertrümmre die Traute dir nicht! -

Sahst du dein Bild

im klaren Bach?

Hat es dich Frohen erfreut?

Rührtest zur Woge

das Wasser du auf,

zerflösse die klare

Fläche des Bachs:

dein Bild sähst du nicht mehr,

nur der Welle schwankend Gewog'! -

So berühre mich nicht,

trübe mich nicht!

Ewig licht

lachst du selig dann

aus mir dir entgegen,

froh und heiter ein Held! -

O Siegfried!

Leuchtender Spross!

Liebe dich,

und lasse von mir:

vernichte dein Eigen nicht!

 

SIEGFRIED

Dich lieb' ich:  

o liebtest mich du!

Nicht hab' ich mehr mich:

o, hätte ich dich! -

Ein herrlich Gewässer

wogt vor mir;

mit allen Sinnen

seh' ich nur sie,

die wonnig wogende Welle:

Brach sie mein Bild,

so brenn' ich nun selbst,

sengende Glut

in der Flut zu kühlen;

ich selbst, wie ich bin,

spring' in den Bach: -

o, dass seine Wogen

mich selig verschlängen,

mein Sehnen schwänd' in der Flut!

Erwache, Brünnhilde!

Wache, du Maid!

Lache und lebe,

süsseste Lust!

Sei mein! Sei mein! Sei mein!

 

BRÜNNHILDE

(sehr innig)  

O Siegfried! Dein -

war ich von je!

SIEGFRIED

(feurig)

Warst du's von je,

so sei es jetzt!

BRÜNNHILDE

Dein werd' ich

ewig sein!

SIEGFRIED

Was du sein wirst,

sei es mir heut'!

Fasst dich mein Arm,

umschling' ich dich fest;

schlägt meine Brust

brünstig die deine;

zünden die Blicke,

zehren die Atem sich;

Aug' in Auge,

 

 

Mund an Mund:  

dann bist du mir,

was bang du mir warst und wirst!

Dann brach sich die brennende Sorge,

ob jetzt Brünnhilde mein?

(Er hat sie umfasst)

BRÜNNHILDE

Ob jetzt ich dein? -

Göttliche Ruhe

rast mir in Wogen;

keuschestes Licht

lodert in Gluten:

himmlisches Wissen

stürmt mir dahin,

Jauchzen der Liebe

jagt es davon!

Ob jetzt ich dein? -

Siegfried! Siegfried!

Siehst du mich nicht?

Wie mein Blick dich verzehrt,

erblindest du nicht?

Wie mein Arm dich presst,

entbrennst du mir nicht?

Wie in Strömen mein Blut

entgegen dir stürmt,

das wilde Feuer,

fühlst du es nicht?

Fürchtest du, Siegfried,

fürchtest du nicht

das wild wütende Weib?

(Sie umfasst ihn heftig)

 

SIEGFRIED

(in freudigem Schreck)

Ha! -

Wie des Blutes Ströme sich zünden,

wie der Blicke Strahlen sich zehren,

Wie die Arme brünstig sich pressen, -

kehrt mir zurück

mein kühner Mut,

und das Fürchten, ach!

Das ich nie gelernt, -

das Fürchten, das du

mich kaum gelehrt:

das Fürchten, - mich dünkt -

ich Dummer vergass es nun ganz!

(Er hat bei den letzten Worten Brünnhilde unwillkürlich losgelassen)

 

BRÜNNHILDE

(im höchsten Liebesjubel wild auflachend)

O kindischer Held!

O herrlicher Knabe!

Du hehrster Taten

töriger Hort!

Lachend muss ich dich lieben,

lachend will ich erblinden,

lachend lass uns verderben

lachend zu Grunde gehn!

BRÜNNHILDE

Fahr' hin, Walhalls  

leuchtende Welt!

Zerfall in Staub

deine stolze Burg!

Leb' wohl, prangende

Götterpracht!

End' in Wonne,

du ewig Geschlecht!

Zerreisst, ihr Nornen,

das Runenseil!

Götterdämm'rung,

dunkle herauf!

Nacht der Vernichtung,

neble herein! -

Mir strahlt zur Stunde

Siegfrieds Stern;

er ist mir ewig,

ist mir immer,

Erb' und Eigen,

ein' und all':

leuchtende Liebe,

lachender Tod!

Beide

SIEGFRIED

Lachend erwachst

du Wonnige mir:

Brünnhilde lebt,

Brünnhilde lacht!

Heil dem Tage,

der uns umleuchtet!

Heil der Sonne,

die uns bescheint!

Heil dem Licht,

das ser Nacht enttaucht!

Heil der Welt,

der Brünnhilde lebt!

Sie wacht, sie lebt,

sie lacht mir entgegen.

Prangend strahlt

mir Brünnhildes Stern!

Sie ist mir ewig,

ist mir immer,

Erb' und Eigen,

ein' und all':

leuchtende Liebe,

lachender Tod!

S

 
(Brünnhilde stürzt sich in Siegfrieds Arme.)
 
(Der Vorhang fällt.)
 

Ende (Dritter Aufzug)

Erster Aufzug Zweiter Aufzug Dritter Aufzug

Wilde Gegend. Am Fusse eines Felsenberges, welcher links nach hinten steil aufsteigt. Nacht.

(Sturm und Wetter, Blitz und heftiger Donner, welch letzterer dann schweigt, während Blitze noch längere Zeit die Wolken durchkreuzen.)

 
<- Wanderer

Wache, Wala!

(Die Höhlengruft erdämmert.)

Wanderer
<- Erda

Stark ruft das Lied

Wanderer
Erda ->

Dort seh' ich Siegfried nahn

Wanderer
<- Vogel, Siegfried
Wanderer, Siegfried
Vogel ->

(Ein Blitzstrahl fährt daraus nach der Felsenhöhe zu, wo von nun an der bisher mattere Schein in immer helleren Feuerflammen zu lodern beginnt. Starker Donner, der schnell sich abschwächt, begleitet den Schlag.)

Siegfried
Wanderer ->

Mit zerfocht'ner Waffe

(Siegfried setzt sein Horn an und stürzt, seine Lockweise blasend, sich in das wogende Feuer, welches sich, von der Höhe herabdringend, nun auch über den Vordergrund ausbreitet. Hellstes Leuchten der Flammen. Danach beginnt die Glut zu erbleichen und löst sich allmählich in ein immer feineres, wie durch die Morgenröte beleuchtetes Gewölk auf.)

Siegfried ->

(Das immer zarter gewordene Gewölk hat sich in einen feinen Nebelschleier von rosiger Färbung aufgelöst und zerteilt sich nun in der Weise, dass der Duft sich gänzlich nach oben verzieht und endlich nur noch den heiteren, blauen Tageshimmel erblicken lässt.)

Ganz die gleiche Szene wie im dritten Aufzug der "Walküre".

Brünnhilde
 
Brünnhilde
<- Siegfried

Selige Öde

Siegfried und Brünnhilde
O Heil der Mutter

So starb nicht meine Mutter?

Brünnhilde, Siegfried
O Siegfried! Siegfried!

Dort seh' ich Grane

Kein Gott nahte mir je!

 

Brünnhilde
Ewig war ich

O Siegfried! Dein

Siegfried, Brünnhilde
Mund an Mund
 
Erste Szene Zweite Szene Dritte Szene
Wald. Den Vordergrund bildet ein Teil einer Felsenhöhle, die sich links tiefer nach innen zieht, nach rechts... Tiefer Wald. Ganz im Hintergrunde die Öffnung einer Höhle. Der Boden hebt sich bis zur Mitte der Bühne, wo... Wilde Gegend. Am Fusse eines Felsenberges, welcher links nach hinten steil aufsteigt. Nacht. Ganz die gleiche Szene wie im dritten Aufzug der "Walküre".
Erster Aufzug Zweiter Aufzug

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